Vernachlässigung des Klimaschutzes durch die „AGORA Energiewende"

Kopie eines Beitrages aus dem Solarzeitalter 4/2015

Seit einigen Jahren geht ein tiefer Riss durch die Umweltbewegung. Vorschläge des Solarenergie-Fördervereins Deutschland oder weiterer engagierter Umweltorganisationen, z.B. EUROSOLAR zur Beschleunigung der Energiewende treffen auf Widerspruch anderer Umweltorganisationen, wie z.B. WWF oder NABU, oder von einigen Kreisverbänden der Grünen und sogar von grünen Länderministern.
Man stößt auf geschickt formulierte Parolen, Merksätze oder Empfehlungen, die den Eindruck erwecken, sie würden der Energiewende helfen, die letztlich aber die Umsetzung der Energiewende verhindern. Diese „vergifteten“ Vorschläge stammen – teilweise sogar wörtlich – aus der „Denkfabrik“ Agora Energiewende.
Der vorliegende Beitrag zeigt, dass deren Bremsposition nicht – wie Agora für sich in Anspruch nimmt – „wissenschaftlich“ hergeleitet wurde, sondern dass es sich schlicht um eine zweckbestimmte Doktrin handelt, deren Grundvoraussetzungen mit der Realität nicht übereinstimmen.


Ein konkretes Beispiel zur Einstimmung:

Eine Anfrage zur Markteinführung von Speichern wurde vom WWF wie folgt beantwortet:
„Gegenwärtig ist es jedoch in der Tat so, dass diese Technologien heutzutage noch nicht in großem Maßstab marktreif, d.h. kosteneffizient anzuwenden sind. Verschiedene Studien (bspw. Agora Energiewende 2014 – Speicher in der Energiewende) legen dar, dass sich eine entsprechende Wertigkeit des erneuerbar erzeugten Stroms, und damit die Wirtschaftlichkeit unterschiedlicher Speichertechnologien und -systeme erst ab einem Anteil von etwa 60 % der erneuerbaren Energieerzeugung am Strommix ergeben."
Soweit der WWF.

Wer steht hinter der Agora Energiewende?

Agora Energiewende ist eine gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation. Sie wurde Anfang April 2012 gegründet. Die vom Finanzaufkommen größten Sponsoren der Stiftung Mercator sind Familien aus der Metro-Gruppe: z.B. Haniel, Schmidt (Metro), v. Thyssen, v. Bohlen u. Halbach aus Essen.
Führender Kopf und erster Direktor der Agora Energiewende war Rainer Baake. Im Oktober 2013 stellte Baake ein Konzept für eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vor, das im Rahmen von Agora entwickelt wurde (EEG 2.0) Unter Punkt 2 findet sich dort das verhängnisvolle Prinzip des „atmenden Deckels“ wieder. Diesmal unter der Überschrift „Ein zubauabhängiger Degressionssatz für die Vergütung“.
Kommentar des SFV: Passender wäre der Ausdruck: „Würgende Schlinge“. Denn je erfolgreicher die Produzenten der Solaranlagen und ihre Installateure ihre Anlagen im Wettbewerb anbieten und verkaufen, desto weniger Vergütung wird für den erzeugten Strom bezahlt. So wird Käufern und Verkäufern die Gewinnaussicht genommen und das Tempo des PV-Ausbaus reduziert. Dies führte bereits zum Rückgang der jährlichen Neuinstallationen von über 7 GW im Jahr 2010 auf etwa 1 GW.

Sigmar Gabriel hat 2014 Rainer Baake als beamteten Staatssekretär für Energiefragen in das Bundeswirtschaftsministerium übernommen. Baake hat seine Mitgliedschaft bei den Grünen beibehalten mit dem Nebeneffekt, dass Kritik aus dem Lager der Grünen nur selten zu hören ist. Eine Neuauflage von Rot-Grün stellen wir uns anders vor!

Nachfolger auf dem Posten des Direktors der Agora ist Dr. Patrick Graichen. Den Vorsitz des Rates der Agora hat 2014 der ehemalige Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer übernommen.

Wie konnte eine regierungsnahe Organisation das Vertrauen so vieler kritischer Umweltorganisationen und -politiker gewinnen?

Agora-These 1 - Der erste Hauptsatz der Energiewende lautet: Im Mittelpunkt stehen Wind und Solar!
Mit der Aussage: „Der erste Hauptsatz der Energiewende lautet: Im Mittelpunkt stehen Wind und Solar" hat die „Denkfabrik” Agora Energiewende das Vertrauen vieler deutscher Klimaschutzorganisationen gewonnen. Solch einen mutigen Satz hatte bis dahin (2012) noch keine regierungsnahe Organisation gewagt. Hoffnung flammte auf. Nun war zu erwarten, dass die durch die Mercator-Stiftung und die European Climate Foundation mit einem reichlichen Budget ausgestattete Agora für den raschen Umstieg auf Erneuerbare Energien in den Streit ziehen würde.
Die anspruchsvolle (aus der Physik entlehnte) Bezeichnung „Erster Hauptsatz“ legte nahe, dass es sich hier um eine allgemeingültige Grundlage für ein in sich stimmiges Denkgebäude handelt, auf dem alle weiteren Folgerungen und Aktivitäten logisch aufbauen. Dies ist tatsächlich der Fall – doch anders als der hoffnungsvolle Leser vermutet. Unter der mitreißenden Überschrift „Im Mittelpunkt stehen Wind und Solar” wird überraschender Weise kein einziger Grund genannt, warum ein rascher Umstieg auf diese Techniken geboten ist, sondern ausschließlich Gründe, warum Wind und Solar Probleme bereiten.
Wind- und Solarenergie haben drei zentrale Eigenschaften:
  • Sie sind dargebotsabhängig, das heißt, die Stromproduktion hängt vom Wetter ab.
  • Sie haben hohe Kapitalkosten und (fast) keine Betriebskosten.
  • Ihre Stromproduktion ist schnell fluktuierend.
Die Aussage, dass Wind- und Solarenergie drei(!) zentrale Eigenschaften besitzen, unterstellt, dass es sich hier um eine abschließende Aufzählung der wichtigen Eigenschaften handelt. Grundsätzlicher als eine „zentrale Eigenschaft“ in einem „ersten Hauptsatz“ kann eine Eigenschaft schließlich wohl kaum sein. Wir fragen uns, warum Agora andere wichtige Eigenschaften von Wind- und Sonnenenergie weggelassen hat. Müsste hier nicht auch ihre Unerschöpflichkeit genannt werden und ihre weltweite Verfügbarkeit? Diese Eigenschaften könnten Kriege um fossile Reserven verhindern, die ohnehin aus Klimaschutzgründen unter der Erde bleiben müssen. Ist nicht ihre schnelle Umsetzbarkeit von der Planung bis zur Inbetriebnahme ein unschätzbarer Vorteil, der uns beim Wettlauf mit dem galoppierenden Klimawandel helfen könnte? Und was ist mit ihrer Freiheit von CO2-Emissionen und mit der Tatsache, dass Wind- und Sonnenenergie auch sonst kaum externe Kosten haben?

Aus zwei Grundsatzfehlern entsteht eine fehlerhafte Doktrin.

Welche Überlegungen haben Agora veranlasst, gerade die positiven Eigenschaften von Sonnen- und Windenergie in ihrer Liste „zentraler Eigenschaften” nicht aufzunehmen?
Die Antwort: Das Weglassen dieser positiven Eigenschaften ist die Voraussetzung dafür, dass Agora scheinbar folgerichtig die Notwendigkeit eines schnellen Umstiegs auf Sonnen- und Windenergie abstreiten kann.
Hinzu kommt ein weiterer skandalöser und geradezu unglaublicher Grundsatzfehler. Agora befasst sich nicht mit den externen Kosten der atomaren und fossilen Energiegewinnung. Auf der gesamten umfänglichen Internetseite der Agora Energiewende findet die Google-Suchfunktion den Begriff „externe Kosten” nur einmal in einer unbedeutenden Fußnote. Ein Diskussionsforum zur Energiewende, in dem der Begriff "externe Kosten" praktisch nicht zu finden ist, hinterlässt einen befremdlichen Eindruck! Die Indizien verdichten sich, dass Absicht hinter den beiden Grundsatzfehlern steckt.
Die Agora-Handlungsempfehlungen können nicht sachgerecht sein, weil ihr Fundament nicht stimmt. Sie nutzen nicht die gegebenen Möglichkeiten von Sonnen- und Windenergie und berücksichtigen nicht, dass uns zur Abwehr der endgültigen Klimakatastrophe nur noch extrem wenig Zeit bleibt.
Die Idee einer „Strompreisbremse” passt genau zur Agora-Doktrin. Wie realitätsblind müssen „Wissenschaftler“ sein, die Geld sparen wollen, indem sie den Umstieg auf Erneuerbare Energien verlangsamen, während der Klimawandel und seine furchtbaren Folgen sich weiter beschleunigen und Klimaforscher Zweifel hegen, ob die endgültige Klimakatastrophe überhaupt noch zu vermeiden ist, deren Kosten unendlich viel höher sein werden!

Peinliche Übereinstimmung mit der Stromwirtschaft

Da die Agora-Vorschläge häufig den Vorschlägen der Stromwirtschaft entsprechen, die sich ebenfalls weigert, die Konsequenzen aus den schnell ansteigenden externen Kosten der fossilen und atomaren Energieversorgung zu ziehen, entsteht zwangsläufig der Eindruck, dass es sich bei der Agora Energiewende um eine „Denkfabrik” handelt, die sich in wichtigen Fragen von der Stromwirtschaft vorschreiben lässt, was sie denken darf und was nicht. Die von Agora selbst gegebene Antwort auf die Frage: Was sind die konkreten Themen, die im Mittelpunkt der Agora stehen?" bestätigt diesen alarmierenden Eindruck:
Agora: Die Arbeit von Agora Energiewende konzentriert sich auf den Stromsektor in Deutschland. Wir arbeiten auf der Basis der gesetzlich formulierten Energiewende-Ziele: Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022 und Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf mindestens 80 Prozent bis spätestens zum Jahr 2050. Die Schnittstellen zu Europa und zu den Bereichen Wärme und Mobilität behalten wir dabei im Blick. (...) Hervorhebung durch SFV Eine Arbeit auf der „Basis der gesetzlich formulierten Energiewende-Ziele” beschränkt sich auf die „Akzeptanz-Beschaffung” für die Entscheidungen der Bundesregierung oder letztlich der Stromwirtschaft. Es ist nicht mehr zu erkennen, wer von den drei Akteuren: Stromwirtschaft, Agora Energiewende oder Bundesregierung die Ideen entwickelt, mit denen die Energiewende seit 2009 sabotiert wird.

Welche wichtigen Entscheidungen der deutschen Energiepolitik werden mit der Agora-Doktrin sabotiert?

In den Jahren ab 2009 wurde der hoffnungsgebende Solar- und Windkraft-Boom der vorangehenden acht Jahre durch rücksichtslose Änderungen der energiegesetzlichen Rahmenbedingungen gebrochen. Der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) fordert deshalb eine grundlegende Verbesserung der Energiewende-Gesetze und macht dazu eigene Vorschläge. Nahezu all diesen Vorschlägen setzt die Agora ihr „Nein” entgegen.
  • Wir, der SFV, fordern 100 Prozent Erneuerbare Energien so schnell wie möglich, auch bei der Wärmeversorgung und im Verkehrsbereich, wobei wir davon ausgehen, dass die meisten Anwendungen auf elektrischen Strom umgestellt werden können und dass deshalb ein Mehrfaches der derzeitigen 600 TWh Bruttostromerzeugung durch Wind- und Sonnenenergie ersetzt werden müssen. (Agora schreibt zwar: „Die Schnittstellen (...) zu den Bereichen Wärme und Mobilität behalten wir dabei im Blick” doch in ihren Berechnungen kommt die vorhersehbare Steigerung der Stromnachfrage nicht vor.)
  • Wir (der SFV) fordern lohnende Gewinnanreize und Bürokratieabbau beim Ausbau von Wind und Solaranlagen im gesamten Bundesgebiet. Insbesondere fordern wir die sofortige Beendigung des sog. „atmenden Deckels", der den Erneuerbaren Energien umso mehr Kapital entzieht, je weiter sie sich ausbreiten.
  • Wir fordern eine sofortige engagierte Markteinführung von Kurzzeitspeichern (Pufferspeicher) bei Wind- und Solaranlagen.
  • Wir fordern eine sofortige engagierte Markteinführung von Langzeitspeichern, die sowohl in ihrer Leistung als auch in der Speicherkapazität eine Dunkelflaute von einigen Wochen überbrücken können.
  • Wir lehnen den Bau neuer Fernleitungen ab, weil er dringend benötigte volkswirtschaftliche Ressourcen von den eigentlichen Energiewendeaufgaben abzieht, weil er energietechnisch die Nutzung von Braunkohle verlängert und den Umstieg auf die Erneuerbaren Energien verlangsamt. Fernleitungen sind nur sinnvoll, wenn in einer Region Überschuss an EE-Strom herrscht und GLEICHZEITIG in einer anderen Region Mangel an EE-Strom. Das ist selten genug der Fall. In allen übrigen Fällen braucht man fossilen Strom zum Ausgleich.
  • Würde man statt der Fernleitungen Speicher errichten, so würden sie regionale Überschüsse an EE-Strom aufnehmen und bei Bedarf wieder hergeben. Fossiler Strom und zusätzliche Fernleitungen können dann entfallen. Eine Aufzählung aller Gründe würde den Rahmen des vorliegenden Beitrages sprengen. Der SFV bietet zu diesem Thema Informationsvorträge an.
  • Wir fordern einen zeitlich detaillierten Ausstiegsplan aus der Kohleverstromung sowie eine CO2-Steuer.
  • Wir fordern die Erhöhung der Versorgungssicherheit gegenüber Wetterextremen und Terrorakten durch gleichmäßige Verteilung einer ausreichenden Zahl von Stromspeichern in Verbindung mit ausreichender Zahl von Wind- und Solaranlagen in Verbrauchernähe. Im Katastrophenfall muss das Versorgungsgebiet automatisch in überlebensfähige Teilregionen zerfallen können („smart failure“ statt „smart grid“).
  • Wir fordern eine Umstellung des Stromgroßhandels, insbesondere das Verbot des vorzeitigen Handels mit fossilem und atomarem Strom, bevor nicht sämtlicher EE-Strom kostendeckend verkauft wurde (Spotmarkt Only).
  • Wir fordern eine Integration der sogenannten EEG-Umlage in die Großhandelspreise, damit auch ausländische Bezieher von deutschem Exportstrom finanziell am Ausbau der deutschen Solar- und Windstromanlagen beteiligt werden. Derzeit sind ausländische Bezieher von deutschem „Graustrom“ von der Zahlung der EEG-Umlage schlichtweg dadurch befreit, dass die AusglMechV nur im Inland gilt. Deutsche Stromexporte ins Ausland enthalten zwar einen EE-Strom-Anteil von etwa 25 %, doch werden die Differenzkosten auf diesen Anteil nur von den nichtprivilegierten deutschen Stromkunden bezahlt, während die Auslandskunden deutschen Exportstrom zum Dumpingpreis ohne EEG-Umlage erhalten.
Die Agora begründet ihr „Nein” zu diesen Vorschlägen regelmäßig mit der Sorge vor finanziellen Mehrausgaben, ohne dabei die ungeheuren Schäden und „externen Kosten” zu berücksichtigen, die jede Verzögerung der Umstellung auf Erneuerbare Energien verursacht. Nicht einmal die Tatsache, dass die notwendigen Investitionen dem Aufbau eines neuen Wirtschaftszweiges dienen, wird gebührend beachtet.

damals nochDipl.-Ing. Wolf von Fabeck, Geschäftsführer im Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) Kontakt: fabeck@sfv.de
Inzwischen Wolf von Fabeck
  - Dipl.-Ing. -
Ehrenvorsitzender des Solarenergie-Fördervereins Deutschland