Atomkrieg und Klimakatastrophe durch Verhandlungen verhindern?

Kommentar zu einem Beitrag in der FAZ:
Muss die Demokratie durch eine „Ökodiktatur“ ersetzt werden?

In einem nachdenklichen Gastbeitrag in der FAZ (aktualisiert am 16.09.2019) sucht der Politikwissenschaftler und Historiker Professor Dr. Peter Graf Kielmansegg eine Antwort auf die Frage, warum die politische Führung bei der Abwehr der Klimakatastrophe offensichtlich versagt, obwohl sie doch die viel größere Gefahr eines Atomkrieges während der Kuba-Krise Oktober 1962 erfolgreich durch Verhandlungen und Kompromisse bewältigen konnte.

Seine Prämisse lautet, erst mit der Erfindung der Atombombe habe die Menschheit die Fähigkeit erlangt, alles Leben auf dieser Erde auszulöschen.

Als naturwissenschaftlich gebildeter Mitbürger mache ich mir dazu folgende Gedanken:

Es gibt ja nicht nur diese eine, sondern mehrere Möglichkeiten, wie die Menschheit sich selbst auslöschen kann. Eine dieser Möglichkeiten ist, wie bereits oben erwähnt, ein Krieg mit dem durch künstliche Intelligenz gesteuertem Einsatz von Atomwaffen. Diese Möglichkeit ist bereits vorbereitet und wird immer weiter perfektioniert. Sie könnte jedoch in zähen Abrüstungsverhandlungen noch unter Kontrolle gebracht werden. So lange keine der Atomraketen gestartet wird, so lange passiert hoffentlich nichts Unwiderrufliches.

Die Fähigkeit, alles höhere Leben auf dieser Erde auszulöschen, besitzt der Mensch aber nicht nur durch den Besitz der Atombombe, sondern ihm stehen - ohne dass es jeder von uns wahrhaben will - noch andere schreckliche Mittel zur Verfügung. So ist er auch in der Lage, die Atmosphäre mit Treibhausgasen so weit anzureichern, dass es zu einem Anstieg der Globaltemperaturen kommt, die schlussendlich alles Brennbare an der Erdoberfläche in Brand setzen und jede menschliche, tierische und pflanzliche Substanz zerstören würden. Der Mensch ist dazu nicht nur in der Lage, sondern er hat diese Variante der Selbstvernichtung schon vor über 200 Jahren in Gang gesetzt und setzt sie immer weiter fort.

Es war zwar nicht seine Absicht, die bewohnbare Welt zu vernichten, aber er ist der Verlockung erlegen, fossile ‚Brennstoffe‘ wie Öl, Kohle und Erdgas sowie radioaktive Stoffe wie Uran aus der Erdrinde zu entnehmen; anfangs um damit seinen ständigen Energiehunger zu decken, später dann, um mit dem Verkauf von Energie zu Macht und Reichtum zu gelangen. Die radioaktiven Abfälle ignorierte er. Die entstehenden Klimagase hat er durch Hochschornsteine in die Atmosphäre "entsorgt" und vergessen. Doch dort hat sich die Menge der Klimagase bereits verdoppelt.

Den beschleunigten Anstieg der CO2Messwerte in der Atmosphäre zeigt die Keeling-Kurve vom Mouna Loa (Hawaii) deutlich an.

Mehr Klimagase bedeuten Erhöhung der Globaltemperatur. Eine höhere Globaltemperatur führt u. a. zum Auftauen der Permafrostgebiete. Bei den Permafrostgebieten in Nordkanada, Alaska, Grönland und Ostsibirien handelt es sich um ganzjährig tiefgründig gefrorene Sümpfe. Beim Auftauen der Permafrostschicht entweicht weiteres Klimagas, welches die Globaltemperaturen noch weiter erhöht und damit zu noch schnellerem Auftauen führt. Mehr Klimagas führt zu noch höheren Globaltemperaturen und die wiederum zu mehr Klimagas. Man spricht hier von einer "positiven Rückkopplung". Einmal angestoßen, verselbständigen sich solche Effekte und laufen selbst dann weiter, wenn der ursprüngliche Anstoß aufhört.

Es gibt übrigens nicht nur bei den Permafrostgebieten eine positive Rückkopplung, sondern ein gutes Dutzend weitere positive Rückkopplungen sind bekannt, die sich dann auch noch gegenseitig verstärken, weil in nahezu allen dieser sogenannten "Kippelementen" der Anstieg der Globaltemperaturen als Antrieb auftritt. So kommt es zu unerwünschten "Mitkopplungen"
Info zu Kippelementen. (Dort runter scrollen!)

Der Mensch hat dadurch das fragile Gleichgewicht zwischen Weltraumkälte und Höllenhitze durcheinander gebracht. Anders als bei der Atombombe läuft diese Katastrophe bereits. Bildlich gesprochen ist das Fallbeil der Guillotine bereits ausgelöst. Wer Augen hat zu sehen, sieht es bereits heruntersausen. Das Klima kippt bereits.

Offensichtlich will Peter Graf Kielmansegg Panikreaktionen vermeiden und schreibt abwiegelnd, es ginge nicht um den Weltuntergang, es ginge nur darum zu verhindern, dass die Bedingungen des Fortlebens der Menschheit sich einschneidend verschlechterten. Wer da von der „Rettung des Planeten“ spricht, nähme den Mund etwas zu voll.

Abwiegelung ist allerdings die falsche Reaktion. Die einzige Reaktion, die hier vielleicht noch helfen könnte, wäre eine entschlossene Anstrengung zur massiven technischen Rückholung von Klimagasen aus der Atmosphäre.

Gefahren werden leider nur umso brisanter, je mehr man sie unterschätzt oder die Augen vor ihnen schließt. Und genau das tut Kielmansegg, indem er schreibt:
„Und von den Fachleuten hört man auf zugleich bedrohliche und dunkle Weise, das Klima werde 'kippen', wenn das 1,5-Grad- Ziel nicht erreicht werde – was immer das bedeutet".

Nanu?

Haben sich die Ergebnisse der Paläoklimatologie und der Erdsystemanalyse noch nicht bis in die Politikwissenschaften herumgesprochen? Wo bleibt hier die von Kielmansegg geforderte Lernbereitschaft?
Wie kommt es dann, dass die Politikwissenschaft nicht bei den Fachleuten der Klimawissenschaft nach den neuesten Erkenntnissen fragt?

Was ich als einer von sieben Milliarden Zwangsbeteiligter von der Politikwissenschaft in der gegenwärtigen Situation dringend erwarte: Sie sollte herausfinden, warum in der Exekutive und in der Legislative jedes Gesetzesvorhaben abgeblockt wird, das zu einem Umstieg auf die CO2-freien Energien aus Wind und Sonnenenergie und Energiespeicher führen könnte.

Dazu ein konkretes Beispiel aus Deutschland: Seit fast drei Jahren ist die aufsummierten Leistung aller deutschen Solarstromanlagen gesetzlich auf 52 Gigawatt (GW) beschränkt. Das ist etwa ein Zehntel der benötigten Solarstromleistung. Doch nicht einmal dieser schikanöse "52 GW-Deckel" konnte aus dem Gesetz gestrichen werden.
Nachtrag vom 22.06.2020: Voraussichtlich Anfang Juli 2020 - also erst nach drei Jahren - wird der Bundesrat einer Gesetzesänderung zum Wegfall des 52 GW-Deckels zustimmen.

Dieses Versagen der Gesetzgebung zeigt, dass derzeit die Lobby der fossilen Wirtschaft ihre wirtschaftlichen Interessen unter allen Umständen durchzusetzen weiß.

Aufgabe der Politik ist es dagegen, das Notwendige möglich zu machen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen dürfen kein egoistisches Ausweichen mehr zulassen! Hier ist es Zeit für den Einsatz des Ordnungsrechts, d.h. klimaschädigendes Verhalten gehört schlicht verboten. Das hat mit einer "Ökodiktatur" nichts zu tun, sondern ist eine Frage des Staatsverständnisses.

Mit anderen Worten: Der Grund überhaupt, warum Völker sich zu Staaten zusammenschließen, warum sie die technische Infrastruktur des Landes in Stand halten (Deichbau, Eisenbahnlinien, Brücken), warum sie ein Bildungssystem, ein Gesundheitssystem, Polizei, Feuerwehr, eine Armee und Seestreitkräfte unterhalten, liegt mit darin, dass eine Zukunftsvorsorge gegen die Gewalten der Natur und gegen die Gewalt eroberungslüsterner Diktaturen nur im vorausschauenden gemeinschaftlichen Handeln möglich ist.
Der Staat muss die Aufgaben übernehmen, welche seine Bürger privat nicht selber lösen können.

Noch einmal zurück zum Ausgangspunkt:

Das alte Rezept, das Peter Graf Kielmansegg aus der Bewältigung der Kuba-Krise herleitet, lautet: Verhandeln und Kompromisse schließen. Für die Vermeidung eines Atomkrieges war und ist das offenbar ein gutes Rezept. Doch über die Klimakatastrophe kann man mit der Natur nicht verhandeln und auf Kompromisse lässt sie sich nicht ein. Die Natur reagiert mitleidslos nach ihren eigenen Gesetzen. Seit etwa 200 Jahren beschleunigt sich die Entwicklung zu einer tödlichen Heißzeit. Ob diese Entwicklung noch mit einem blitzartigen Umstieg auf fossil- und atomfreie Energien und Rückholung von Klimagasen in riesigem Umfang mit zusätzlichen technisch Verfahren zu stoppen ist, steht sehr in Frage, ist aber die einzige Chance. Ein "Laissez-faire-Staat", dessen verantwortliche Politiker sich nicht um das erforderliche Fachwissen bemühen, kann das allerdings nicht organisieren.

Weitere Missachtung der Naturgesetze kann die bereits angelaufende Klimakatastrophe nicht stoppen und das trifft uns alle. Insofern sitzen wir weltweit alle in einem Boot. Es gibt keinen Planet B auf den wir übersiedeln können. Und eine Vogel-Strauß-Politik hilft bekanntlich nicht weiter.

Die Notwendigkeit einer entschlossenen Klimaschutzpolitik folgt aus allem, was sich auf der Sachebene an Einsichten ergeben hat. Dass Deutschland stattdessen eine klimazerstörerische Politik betreibt, folgt nicht aus einem Übermaß an Demokratie, sondern aus einem Mangel an ihr; konkret daraus: dass die Energiewirtschafts-Lobby mit blinder Gier geschlagen ist, trotzdem aber ein stets offenes Ohr bei den Regierenden und auch bei den Medien findet.

Wolf von Fabeck
  - Dipl.-Ing. -
Ehrenvorsitzender des Solarenergie-Fördervereins Deutschland